Editorial

DER IMPULS

Seit achtunddreißig Jahren lebe und arbeite ich als Künstlerin im Herzen vom Prenzlauer Berg in
einer Hinterhofwohnung zwischen Göhrener, Senefelder und Danziger Straße, die damals noch Dimitroffstraße hieß. Mancherlei Wege führten mich auch nach Pankow und Weißensee. Durch viele Fäden war und bin ich verbunden mit denen, die gerade hier gegen das diktatorische System mit Wort, Bild, Sound, mit künstlerischer und politischer Aktion opponierten oder dessen Hohlräume beleuchteten, bloßstellten und eigensinnig besetzten. Sie alle trugen mit unterschied¬lichen Mitteln aktiv zu jenem Aufbruch bei, der im Herbst 1989 kulminierte. Alle waren mitgerissen von den Ereignissen, hatten mehr oder weniger konkrete Vorstellungen von den notwendigen Veränderungen und zugleich ganz individuelle Erlebnisse.
Dreißig Jahren später nach den persönlichen Erinnerungen zu fragen scheint seltsam. Chroniken, Bücher, Filme, die Dokumente in den Archiven und Jubiläumsfeiern haben doch die Geschehnisse längst gut sortiert und als Friedliche Revolution und Mauerfall in die Geschichte eingeordnet. Aber wer interessierte sich in den vergangenen Jahren für die Wünsche und Träume, auch für die Ängste, für die Gefühle, Gedanken und Taten der Einzelnen, die in Weißensee, Pankow und Prenzlauer Berg an der Umwälzung teilnahmen?

DIE INTERVIEWS

Umso erfreulicher ist es, dass jetzt so Viele bereit waren, freimütig von ihren persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu erzählen. Die hier versammelten Stimmen bilden ein feines und weit verzweigtes Gespinst von Erinnerungen. Selbst wenn oftmals über die gleichen Begebenheiten gesprochen wird, entstehen immer neue Kreuzungs-Punkte, die Gesagtes weiterführen und lebendige Bilder umschreiben, woran auch die schriftlichen und anderen Ergänzungen mitwirken. Da diese Webseite erhalten bleibt, findet die Geschichte jenes Herbstes im Bezirk Pankow eine sinnfällige und langfristige Erweiterung. Dabei münden die Erzählungen in Aussagen darüber, wie die Erfahrungen jenes Herbstes in der Gegenwart weiterwirken und sie werden oft prononciert an die junge Generation weitergegeben, die sich heute aktiv für gesellschaftliche Veränderungen einsetzt.

DIE ZEICHEN AUF DER STRASSE

Vielleicht hat eins der 195 Zeichen auf den Bürgersteigen des Bezirks Pankow zum Besuch dieser Seite geführt? Gut! Das war so geplant. Die Zeichen zeigen im Projektzeitraum vom 9.9. bis 9.12. auch unabhängig von den Interviews, wo die Aktiven damals gelebt, gewirkt und sich getroffen haben. Für ein Gesamtbild ist der Stadtplan des Bezirks mit den hüpfenden Punkten auf der Startseite zuständig. Doch um eine Wanderung entlang der Erinnerungen wirklich einladend zu machen, sind Routen vorgeschlagen, auf denen der Weg von einem zum nächsten Ort real wie gedanklich nicht zu lang ist …

DIE BEGEGNUNGEN

So vielfältig wie die Aktivitäten im Herbst ’89 waren, so vielfältig sind deren Beziehungen zu Themen der Gegenwart. Deshalb gibt es in jedem der drei Alt-Bezirke jeweils im September, Oktober und November eine Veranstaltung, die eins der Themenfelder betritt, sondiert und hoffentlich vertieft.
An Orten, die auch damals schon bedeutungs¬voll waren, werden Begegnungen möglich zwischen und mit denen, die einst die verkrusteten Verhältnisse aufgebrochen haben.
Ein Flyer weist an vielen Stellen im Bezirk auf das Programm hin.

DIE MITWIRKENDEN

Ohne diejenigen, die auf unterschiedliche Weise an diesem Projekt mitgearbeitet haben,
wäre dessen Realisierung nicht möglich gewesen.
Deshalb gilt es Dank zu sagen

  • dem Bezirksamt Pankow von Berlin als Auftraggeber, Bürgermeister Sören Benn für die Anstiftung, seinem Referenten Dr. Sven Richter und der Projektkoordinatorin 30 Jahre Friedliche Revolution in Pankow Ulrike Plüschke für die unermüdliche Gesprächsbereitschaft und Koordination
  • der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und dem Fachbereich Kunst und Kultur des Bezirksamtes Pankow, Tina Balla und Alexandra Heyden, für die Förderung des Projektes aus Mitteln des Bezirkskulturfonds
  • dem Fachbereich Museum des Bezirksamtes Pankow, besonders dem Leiter Bernt Roder, für die Unterstützung und Gesprächsbereitschaft
  • der Kulturprojekte Berlin GmbH für die freundliche Kooperation
  • allen Interviewpartnern für ihre Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit
  • dem Team Anke Dziewulski, Beate Lau, Saskia Nagel und Ilona Sachs für die Diskussion aller Vorhaben und einzelnen Schritte
  • der Gestalterin der Webseite und des Flyers Anke Dziewulski für ihre Intensität und Geduld
  • der Gestalterin der Bodenzeichen Antje Bartel für ihre Suche nach der besten Lösung
  • dem Kurier Elias Dege für die Verortung der Zeichen vor den Adressen und die Verteilung der Flyer
  • der Firma Werbung Total, Thomas Heine und René Kawinkel für die hohe Qualität der Bodenzeichen und Matthias Korintha für die Sorgfalt bei der Montage auf der Straße

DIE WEITERFÜHRUNG

Es ist mir bewusst, dass selbst von unserem Bezirk Pankow längst nicht alle Protagonisten des Aufbruchs im Herbst 1989 hier einbezogen sind und viele Erinnerungen darauf warten gehört zu werden.
Deshalb möge diese Webseite auch dazu ermutigen, diejenigen in der Nachbarschaft zu befragen, die noch von jener Zeit erzählen können und wollen.
Und bis zum 9.12. ist die Aufnahme weiterer persönlicher Erzählungen in diese Seite möglich um sie einem größeren Publikum zu Gehör zu bringen.

Karla Sachse, 25. August 2019

TRAURIGER NACHSATZ

Als ich am 2. September an allen Häusern Informationen zu den Bodenzeichen und der bald online verfügbaren Webseite anbrachte, musste ich feststellen, dass einige der Zeichen fehlten. Schade!

Hier auf der Webseite sind sie aber weiterhin zu finden:

Route 1
Schönhauser Allee 69 – Hier war das Wiener Café
Schönhauser Allee 71 – Wilfried Bergholz, Schriftsteller
Kopenhagener Straße 2 – Reiko Kammer, Schüler
Gleimstraße 11 – Sal-Gerd Beyer, Desinfektor
Gudvanger Straße 30 – Gerd Danigel, Fotograf
Miltenberger Weg 3 – Asteris Kutulas, Autor uns Verleger
Schulstraße 6 – Heike Gerstenberger, Diplompädagogin und
Astrid Landero, Publizistin
Mendelstraße 19 – Ruth Wolf-Rehfeldt, Typewriterin und Robert Rehfeldt
Mendelstraße 34 – Neues Forum: Werner Schulz, Bürgerrechtler
Rettigweg 10 – Johannes Jansen, Schriftsteller

Route 2
Schliemannstraße 11 – Samirah Kenawi, Aktivistin
Prenzlauer Allee 194 – Annett Gröschner, Schriftstellerin
Dunckerstraße 17 – ep Galerie
Dunckerstraße 78 – Else Gabriel und Micha Brendel
Schönhauser Allee 54 – Gottfried Röszler

Route 3
Hans-Otto Straße 12 – Roland Baron
Chodowieckistraße 22 – Wolfgang Kil
Ella-Kay-Straße 50 – Meta Sell und Mike Weimann

Route 4
Christinenstraße 36 – Uwe Lehmann